Erklärung zu meinem Kirchenaustritt

Zusammen mit dieser Erklärung schickte ich am 2. November 2001 meine Austrittsniederschrift aus der römisch-katholischen Kirche an das Bischöfliche Ordinariat des Bistum Passau.

  1. Mit dem heutigen Schritt schließt sich für mich der Kreis von Entwicklungen, deren Abläufe entsprechen einer inneren Entwicklung, an deren Ende für mich die Klarheit steht, dass meine persönlich gewonnenen theologischen, historischen und psychologischen Einsichten eine Mitgliedschaft in einer Kirche verzichtbar machen. Ich gebe damit den Anspruch auf, mich als "römisch-katholischer Christ" zu äußern. Ich habe den inhaltlichen Konsens dieser Überzeugungsgemeinschaft innerlich verlassen und gebe dem nun auch äusserlich Ausdruck.
     
  2. Meine Religiosität hingegen hat sich durch den Ablösungsprozess von der Struktur "Kirche" immer mehr verdichtet und profiliert. Ich verstehe heute ihre Grundlage als Eingebundensein in einen großen universalen Zusammenhang von Realität. Der Einklang mit diesem "Kreis" ermöglicht ein harmonisches "Sein mit sich selbst", das heilenden Effekt hat. Durch die ideologiefreie Annäherung an solche grundlegenden spirituellen und seelischen Erfahrungsebenen bin ich zurÃœberzeugung gelangt, dass Erlösungsreligionen für mich überflüssig sind.
     
  3. Die Institutionen der Kirchen sind bemüht um Kräftekonzentration angesichts schwindender Markt- und Machtanteile. Die Erlösungsverkäufer bündeln ihre Kräfte, um Kundenpotentiale zu erhalten. Die dafür ins Zentrum genommene Frage, wie der Mensch einen "gnädigen Gott" bekommen könnte, ist für aufgeklärte und religiös autonom empfindende Menschen unserer Gegenwart schlicht irrelevant. Der dogmatisch vorgegebene Graben zwischen Gott und Mensch, der durch Erlösungsgaben und -taten zu überwinden wäre, gleicht dem Vorhaben eines Arztes, der dem Patienten eine willkürlich gestellte Diagnose verpasst und ihm gleichzeitig das allein wirksame Medikament verkauft, das er natürlich selbst herstellt und vertreibt. Völlig außer Betracht bleibt dabei die Frage, was dieses Medikament bei dem Patienten bewirkt und welche Nebenwirkungen es hat.
    Das Gottes- und das Menschenbild hat sich hierbei seit dem Mittelalter durchgehend erhalten: Die "beleidigte Leberwurst" Gott ist zwar grundsätzlich zum Gewaltverzicht bereit, will aber vom "Lausejungen" Mensch, der völlig willkürlich gesetzte Auflagen verfehlt hat, durch möglichst sühnegeeignete und entsprechend lebensfeindliche Moral gebauchpinselt werden, bis der die bloße untätige Anwesenheit des Beleidigten schon als Erlösung begreift
    - big brother is watching you, but not hurting you!
     
  4. Die Kirche hat alle Hände voll zu tun mit ihrer eigenen Existenzsicherung und dem Nachweis ihrer Existenzberechtigung. Dabei hat sie die Wege zu den Menschen aus den Augen verloren, genügt sich selbst und ergeht sich im Schmücken und Beweihräuchern ihrer eigenen Innenwände.
    - Wer ist denn nun für wen da: Die Menschen für die Kirche oder die Kirche für die Menschen?
     
  5. Die Kirche hat sich bislang erfolgreich dagegen gewehrt, die geistesgeschichtliche Wende der Aufklärung inhaltlich zur Kenntnis zu nehmen. Während menschliches Bewusstsein, Denken und Fühlen ängst antike und mittelalterliche Standards hinter sich gelassen hat, werden sie in kirchlicher Sprache und im Kultus immer noch als letzte Wahrheiten hochgehalten.
     
  6. Die Kirche hat ihre eigene theologische Aufklärung ignoriert und verdrängt. Wer nach der Entmythologisierung des Neuen Testaments immer noch von Jungfrauengeburt, leiblicher Auferstehung und Himmelfahrt als bedingungslos beizubehaltenden Glaubensgütern ausgeht, zeigt damit nur seine Angst vor Veränderung.
     
  7. Der Kirche fehlt der Mut, ihren eigenen Ursprüngen ins Auge zu schauen und daraus Konsequenzen zu ziehen: Sie ist ein aus menschlichen Entscheidungen und Interessen heraus entstandenes Gebilde, das weder von Jesus gewollt noch durch eine göttliche Verfügung eingesetzt wurde. Sie darf demnach auch aus menschlichen Entscheidungen heraus beendet werden, wenn sie sich überlebt hat - um der Menschen willen, denen sie mehr schadet als nützt. 

  8. Der Kirche fehlt der Mut, sich ihrer theologischen Lebenslüge zu stellen: Dass aus dem Verkündiger der Verkündigte wurde. Diese Pervertierung des jesuanischen Weges der Gottessuche zu einer institutionalisierten Erlösungsgabe für die ganze Menschheit hat bis in ihre monopolistischen Auswüchse hinein zu den aus der Kirchengeschichte bekannten Erscheinungen geführt und letztlich nur der Machtausübung und Kontrolle gedient. Statt Wege in die Freiheit wurden Wege in die kirchliche Abhängigkeit geschaffen.
     
  9. Die Kirche hat den Kontakt zur Vision Jesu verloren: Menschen zu einer autonom gelebten und verantworteten Gottes- und Gemeinschaftsbeziehung zu helfen, ansteckend heilend zu wirken, die große Umgebenheit von dem, was "Gott" meint, erlebbar zu machen. Impliziert ist hierbei das edelste und höchste Ziel von Kirche: Sich selbst entbehrlich zu machen. Diese Visionen sind längst aus dem kirchlichen Bereich ausgewandert und werden von Menschen gelebt und besungen, die dazu die Kirche tatsächlich nicht mehr brauchen!

Amsham, den 2. November 2001
Maximilian Ziermaier


Nachtrag

Seit her bin ich für einige Mitmenschen kein vollwertiger Teil der Gemeinschaft mehr. Ich möchte mich zu diesem Thema einem Gedanken von Bettina von Arnim anschließen:
"Selbstdenken ist der höchste Mut. Wer wagt, selbst zu denken, der wird auch selbst handeln."

Ernst Cran nennt Jesus einen "Narren Gottes", weil er tat was Gott ihm hies: Er lebte das Heil. Das er damit aneckte brachte ihn in Verruf. In diesem Sinn bin ich zufrieden meinen Ruf ruiniert zu haben, denn die Kirche verteilt Schuld anstatt Heilung.